Ich höre von Führungskräften immer wieder: Mein Team ist völlig überlastet. Dabei ist es zumindest in der Theorie doch so einfach, die Auslastung in den Griff zu kriegen. Darum wird es heute gehen. Vor allem werde ich über die Verwendung von Kapazität in etwas größeren Organisationseinheiten sprechen, aber die Logik gilt auch für kleine Teams oder sogar einzelne Personen. Mir ist bewusst, dass ich hier nur theoretisch überlege und die Realität immer viel verzwickter ist. Ich hoffe, dass ist Euch auch bewusst und ihr schreibt mir keine Hasskommentare, sondern nehmt den einen oder anderen nützlichen Gedanken mit.
Wenn eine Belegschaft von, sagen wir 500 Personen, insgesamt „total überlastet“ ist, liegt meist eine von drei Situationen vor: Eine plötzliche Krise ist zu meistern, die Menschen werden fahrlässig überlastet oder etwas läuft schief bei der Priorisierung. Besonders anfällig für Überlastung sind Teams, bei denen alle drei Aspekte sich zu Bergen an Arbeitslast auftürmen können. Auch wiederkehrende Peak-Belastungen (Monatsabschlüsse, Produkt-Jahreswechsel o.Ä.) sind ein Faktor. Ich werde im Folgenden auf das Thema Priorisierung eingehen. Denn hierin liegt meiner Meinung nach (neben den Apellen „vermeide Krisen“ und „nutze die Leute nicht aus“) der einzige wirkungsvolle und immer gültige Hebel.
Die 500 Personen große Organisation habe in unserem Beispiel nun das Problem, dass der Aufwand ständig zunimmt. Die Tätigkeiten werden immer vielfältiger, die internen / externen Kunden werden immer differenzierter und nehmen zu, die Administration nimmt zu, Prozesse werden komplizierter, die Kernaufgaben leiden darunter. Alle fahren bereits auf rot. Und zu allem Übel soll perspektivisch auch noch gespart werden.
Nun könnten zusätzliche Ressourcen eventuell helfen. Doch „mehr Leute“ bedeutet manchmal auch mehr Koordination, mehr Einarbeitung, mehr Fragmentierung, mehr Diskussion von Zuständigkeiten. Ein großes System kann durch solche Störungen durchaus mehr Kapazität einbüßen, als die zugeführten Ressourcen bringen.
Wenn man also davon ausgeht, dass mit den bestehenden Ressourcen gearbeitet werden muss und trotzdem der Scope stetig wächst. Vielleicht sogar rasant. Dann schauen wir uns mal dieses erste Scribble an:
Was jetzt oft passiert: „Wir müssen priorisieren! Was ist unser Scope? Was ist Out of Scope?“. Und dann wird diskutiert, was man jetzt mal endlich knallhart priorisieren könnte. Welche alten Zöpfe müssen ab? Wir müssen mehr nein sagen. Etc. pp. Oft kommt dabei auch ein bisschen was raus. Meist landen dann aber einige Aufgaben auch zwischen den Stühlen – sie bleiben „on top of scope“, werden zähneknirschend weiterhin irgendwie mitgemacht. Und man hat in der Regel nur den Status Quo etwas optimiert, sich etwas Luft verschafft. In spätestens einem Jahr sehen wir uns garantiert wieder mit denselben anstrengenden Debatten.
Was offensichtlich nicht funktioniert, ist das grundsätzliche Management der Frage „Welcher Output ist welchen Ressourceneinsatz wert?“
Fährt man über solche überlasteten Teams einmal eine Funktionsanalyse, fallen einem schnell ein paar typische Probleme auf. (Die Funktionsanalyse geht so: alle Tätigkeiten eines Teams werden „bepreist“ mit dem dafür gebrachten Ressourceneinsatz. Dann wird geschaut, ob dieser „Ressourceneinsatz pro Output“ überhaupt gerechtfertigt ist, ob zu viele Leute an ähnlichen Themen arbeiten, oder z.B., ob auf einem wichtigen Thema nur eine einzige Person sitzt).
Die typischste Auffälligkeit ist dann, dass gar nicht klar ist, welche Outputs wie viel Ressourceneinsatz „wert“ sind. Weder gibt es eine Priorisierung der Outputs a la Return on Investment, noch gibt es eine Vorstellung davon, was die Outputs überhaupt bewirken. Irgendwer will das alles. Die Dinge müssen halt alle gemacht werden. Basta.
Nun fangen die Führungskräfte an, die einzelnen Teammitglieder aufzufordern, innerhalb ihrer persönlichen Aufgabenliste, zu priorisieren. „Sag Du doch mal, was Du nicht mehr machen willst“. Das Problem: Viele Menschen steigen vom alten Pferd erst, wenn das neue Pferd daneben steht. Einfach Aufgaben sein lassen, mit dem Gefühl dann nicht mehr voll ausgelastet zu sein, das geht nicht. Andere MitarbeiterInnen wiederum sind überzeugt: Wenn ich nicht alles mache, was ich mache, steht die Welt still. Trotzdem bin ich überlastet.
Was dann passiert, ist: wir müssen aus dem gesamten System mehr Komplexität nehmen. Schlanker, schneller, freier. Bürokratie abbauen. Prozesse simpler machen, etc. Ich nenne das #Geraffelkosten. Aber diese abzubauen kostet ja auch erstmal viel Zeit. Die keiner hat.
Alle diese Ansätze sind valide, um Aufwand zu senken (individuell schauen, was man sein lassen könnte, Geraffelkosten senken, etc.), sie ersetzen aber nicht eine Logik, nach der das Verhältnis investierter Input <> erhaltener Output gesteuert wird. Daher das dritte Scribble:
Es ist eigentlich banal: Man soll das Lohnenswerteste zuerst tun. Man soll sich mit allen lohnenswerten Dingen, die man finden kann, maximal auslasten. Dann holt man doch das Bestögliche raus. Dinge, bei denen der Nutzen nicht so klar ist (oder gering), soll man nur angehen, wenn der Vorrat an sehr lohnenswerten Dingen aufgebraucht ist. Oder wenn man sich bewusst Zeit für Experimente nehmen will.
Nun gibt es drei Probleme mit diesem sehr simplen theoretischen Modell:
- „Lohnenswert“ für wen eigentlich?
- Keiner managed die Prioritäten ganzheitlich
- Man braucht eine flexible Organisation, hochfrequente Repriorisierung und datengetriebene Entscheidungen
1. „Lohnenswert“ für wen eigentlich?
In jeder Gruppe von Menschen gibt es versteckte Agenden, Egoismen, parasitäre Entgleisungen. In Aufwände, die der Firma nicht nützen, fließt leider sogar ein wesentlicher Teil der Ressourcen. Ein Extrembeispiel wäre der Assistent, der der Vorständin den Geburtstag der Tochter durchplant. Ein mittleres Beispiel sind U-Boot-Projekte, die aus Liebhaberei aufrecht erhalten werden, oder um mit anderen Abteilungen zu konkurrieren. Typisch auch: Ressourcen bunkern, die an anderer Stelle wichtigeres tun könnten. Oder wenn man ineffiziente Verhaltensweisen auf Dauer nicht ändert. Oder wenn Veränderungen um Einzelpersonen herum designed werden („weil XY einen Posten braucht“). Oder Blödsinn wird gemacht, weil jemand da oben das halt so will. Oder zig Seiten Backup wird gemacht, weil man den Experten selbst nicht mit ins Meeting nimmt. Es gibt hier unendlich viele Beispiele. Immer fließen dabei Ressourcen irgendwelche Nutzen – aber Nutzen für wen eigentlich?
2. Es gibt nicht die EINE Rangfolge der Prioritäten
Manchmal sind die obersten Managementebenen auch nicht gerade konsistent in ihren Setzungen. Hier mal ein Extremfall: Ein VP sagt einem Unit Lead: „Du und Deine Themen sind die wichtigsten. Ich setze alles auf Dich!“ – Und dem nächsten auch. – Und der übernächsten auch…. Also allen. So erzeugt diese VP mehrere Wahrheiten, wo es nur eine Prio-Reihenfolge geben dürfte. Oder: Mehrere Abteilungen tauschen sich nicht ganzheitlich darüber aus, wofür sie welchen Aufwand betreiben und was dabei rauskommt, sondern jeder optimiert in seinem Kämmerchen nach eigenen Logiken. Klar, dass dann oft solche Funktionen eingespart werden, die für einen selbst nicht sonderlich nützlich sind. Aber sie sind dem Nachbarn vielleicht sehr nützlich. Und vielleicht spült der Nachbar viel mehr in die gemeinsame Kasse? Wo sonst Aufgaben über den Zaun geworfen werden, werden hier dann Elektrokabel unterm Zaun gekappt: Kein Saft mehr für Euch, ich muss mich konsolidieren, sorry. Dabei passiert dann, dass in einer Abteilung ein Nutzen nicht mehr erzeugt wird, weil die Ressourcen fehlen – während in der Nachbarabteilung munter weiter sehr wenig Nutzen erzeugt wird. Das fällt ihnen aber in ihrer kleinen Welt gar nicht auf. In ihrer kleinen Welt machen sie halt das Nützlichste, was ihnen einfällt. Es braucht EINE Rangfolge von Prioritäten – sowohl für den Einsatz von Ressourcen, als auch für den erzielten Nutzen.
3. Man braucht eine flexible Organisation, die Fähigkeit zu regelmäßiger Repriorisierung und v.a.: datengetriebene Entscheidungen
Dazu brauche ich nichts mehr zu schreiben. Das wurde schon 1-2 mal woanders thematisiert. Und da sind wir ja alle dran, oder?
Habt einen schönen Feierabend!