Debra Meyerson und Andere* haben ein wunderbares Phänomen beschrieben: Swift Trust. Der magische Prozess, wenn Leute sich sofort Vertrauen. In einem früheren Post habe ich darüber schon einmal geschrieben und argumentiert, warum Du viel mehr Rotation in Deine Bude bringen solltest. Diesmal setze ich mich mit der Kritik an der Theorie „Swift Trust“ auseinander und bleibe natürlich voll bei meiner Linie.
Was ist Swift Trust?
Gerade virtuelle Teams haben nicht die Zeit und die Möglichkeit, sich persönlich zu treffen um Vertrauen aufzubauen. Aber gerade virtuelle Teams müssen vertrauensbasiert arbeiten, was sonst sollte sie zusammenhalten? Auch vermehrt interdisziplinäre Arbeit führt zu ständig neu zusammentreffenden Gruppen – ob in Projekten oder auch nur in Videokonferenzen. Man trifft auf immer mehr Menschen zum ersten Mal und muss (oder will) sofort mit der Arbeit anfangen. Swift Trust ist hierbei das schnell aufgebaute Vertrauen, das die Gruppe loslegen lässt „als wäre man schon ein Team“. Das Team investiert im Prinzip zunächst einmal Vertrauen. Dieses wird im Laufe der weiteren Zusammenarbeit von den einzelnen Mitgliedern ständig überprüft und ggf. revidiert oder gefestigt.
Warum finde ich Swift Trust so wichtig? Vertrauen vs. Vertrautheit
Mein Hauptargument im letzten Artikel war, dass mit dem Anstreben klassischer „Vertrautheit“ in Unternehmen Geld und Zeit verschwendet wird: „Dieses Potential von Swift Trust, Vertrauenspotential, zwischen quasi wildfremden Menschen, die ein Team bilden und loslegen, wird nicht genug verstanden und genutzt. Stattdessen setzt man auf ultra teure, langwierige Vertrauensbildungsprozesse und Teambuildingmaßnahmen, die ich eher Vertrautheitsbildung nennen möchte. Vertrautheitsbildung mit mittelmäßigem ROI […] Wer zusätzlich auf viel Rotation, ad hoc Teaming und Prozessorientierung statt Klüngel setzt, wird aufgrund der menschlichen Eigenschaft, immer wieder neu zu vertrauen, die bessere Ernte einfahren und mit der Zeit eine ganz feine Belegschaft bekommen!„
Nun zur Hauptkritik an Swift Trust: Es ist gar kein Vertrauen!
Kritiker des Begriffes Swift Trust sehen es nicht als echte Form von Vertrauen an. Sie meinen, es sei doch nur ein Ersatz für echtes Vertrauen. Manche definieren Swift Trust sogar als eine interpersonelle Form bloßen Risikomanagements. Und, so befürchten sie, Swift Trust könnte echte Vertrauensbildung verhindern. Was ist dran – aus meiner subjektiven, praxisgetünchten Perspektive?
Erst einmal: Die Theorie ist schon etwas älter, aber bleibt relevant, wie man am aktuellen Artikel zu Swift Trust in Mensch-Maschine Beziehungen sehen kann: Applying the swift trust model to human-robot teaming – ScienceDirect. Das wird noch richtig relevant für Autonomes Fahren/Fliegen/Schwimmen in jeglicher Form, sowie für Smart Home, Roboter im Haushalt etc. etc. Und nun zu den einzelnen Argumenten:
1. Swift Trust ist kein „echtes“ Vertrauen
Ich finde es irrelevant, ob Vertrauen „echt“ ist oder nicht, oder ob man es als Risikomanagement bezeichnet werden kann. Für mich zählt nur, wie es funktioniert. Teams, die frisch zusammengewürfelt sind, müssen sich zusammenraufen, oder sie lassen es. Kaum ein Team hat die Zeit, erst durch lange Vertrautheitsmaßnahmen zusammenzuwachsen, um herauszufinden, wem man trauen kann und wem nicht. Ich bin sogar der Meinung, dass die Kalte Dusche des Swift Trust – sofort loslegen und sich gegenseitig vertrauen – einen wichtigen Effekt hat: Sei vertrauenswürdig und benimm dich kooperativ! Das lernt man nicht in einem seit 20 Jahren unveränderten Büro, einem Hort der Vertrautheit. Das lernt man durch Rotation, Herausgefordert werden und Feedback, Feedback, Feedback. Meiner Meinung nach spricht das für Rotation und Swift Trust, wie in meinem ersten Artikel beschrieben.
2. Swift Trust verhindert echte Vertrauensbildung
Swift Trust ist das Startkapital, was man in eine Gruppe investiert, wenn man sie kaum kennt. Sicherlich ist es ein Wagnis. Aber durch Investition entsteht auch Anspruch. Wenn ich eine Firmenkultur fördere, in der sich alle auf alle verlassen können müssen, und jeder mit „Swift Trust Aktien“ investiert ist, entsteht ein ganz anderer Spirit. Jeder fordert vom Anderen ein, immer und überall vertrauenswürdig zu handeln. Nicht nur in der warmgepupsten Bürogemeinschaft wo man sich schon seit Jahrzehnten super gut kennt.
Ich in der Meinung, dass im Gegenteil Vertrautheit echtes Vertrauen verhindert. Echtes Vertrauen in die gesamte Belegschaft, in jeden einzelnen Menschen, in die Fähigkeit einer Organisation, sich gegenseitig zu feedbacken und Individuen zu vertrauenswürdigerem Verhalten zu animieren.
Abbinder für heute: Lies mal wieder! z.B. Meyerson et al.:
* Meyerson, D., Weick, K. E., & Kramer, R. M. (1996). Swift trust and temporary groups. In Thousand Oaks, CA: Sage