Ich bin kein tougher Verhandler. Auf dem Flohmarkt tut es mir körperlich weh, Preise runter zu handeln. Aber ich finde, ich habe bisher auch mit meiner sanften Art alles erreicht, was ich bis hierher erreichen wollte. Entweder ich hatte viel Glück (Sonntagskind), oder ich kann ein bisschen was. Ich muss dazu sagen, dass ich mit meinen 43 Jahren nun kein Topmanager geworden bin, also mime ich hier nicht den „Wie werde ich erfolgreich Guru“, sondern ich habe über die Feiertage einfach mal gegrübelt, warum ich für mein Dafürhalten recht gut durchs Leben komme, ohne ein tougher Typ zu sein. Wenn auch Du kein tougher Typ bist, hoffe ich das hier was Nützliches dabei ist.
Hier, was ich oft tue, wenn ich etwas möchte:
1. Hohes Ziel, und zwar in der ZUKUNFT
Ich spreche gern darüber, was ich später mal will. Was ich in der Rente machen will, welche Projekte ich mal leiten will, was ich mal verändern möchte, dass ich gern die Menschheit ins Weltall bringen würde, etc. … dadurch, dass ich gern über die Zukunft spreche und höhere Ziele formuliere, kann sich mein Umfeld damit auseinandersetzen, wer ich so bin, wovon ich träume, und sich ein Bild machen, ob sie mir das zutrauen oder nicht. Sie bekommen auch einen Eindruck davon, womit sie mich beeindrucken können, mein Interesse wecken, oder mich motivieren. Dieses langsam aufgebaute Hintergrundwissen hilft dann in konkreten Entscheidungssituationen enorm dabei, einen für beide Seiten passenden nächsten Schritt festzulegen. Mein Gegenüber kann mit mir an einer (gemeinsamen) Zukunft bauen.
2. Keine Angst, und zwar vor MUTIGEN Wünschen
Vor 8 Jahren fragte mich ein Vorgesetzter, ob ich etwas mehr Verantwortung übernehmen möchte. Es ging um eine konkrete Projektleitung. Ich lehnte die angedachte Stelle dankend ab, obwohl sie mir – sagen wir im übertragenen Sinne – 5 Äpfel und 3 Birnen mehr Gehalt hätte bringen können. Gleichzeitig sagte ich aber trotzdem, dass ich den Karriereweg einschlagen möchte, der mir deutlich mehr Verantwortung bringen würde – und 15 Äpfel und 10 Birnen. Der Clou: nur weil ich ein Angebot ablehne, muss ich doch nicht mit gesenktem Haupt auf andere, ggf. viel größere Wünsche verzichten. So kann mein gegenüber einschätzen, ob ich mehr Verantwortung generell ablehne oder nur die eine spezielle Position. Mein Chef konnte mich für „Höheres“ im Hinterkopf behalten.
3. Mehrere Ziele, und zwar ECHTE
Wenn mich jemand fragt, was ich haben möchte, ob auf einem Basar, bei einem Entwicklungsgespräch oder bei der gemeinsamen Urlaubsplanung, dann nenne ich möglichst mehrere Ziele. Ich möchte zum Beispiel tauchen bei 29 Grad (Wassertemperatur) + hervorragende Abendessen genießen + nicht mehr als 5h fliegen. Das macht es dem Anderen viel leichter, einzuschätzen, worauf es mir ankommt – und worauf offenbar nicht. Ich finde es immer ärgerlich, wenn jemand seine Wünsche in der Salamitaktik preisgibt. Also „ich will tauchen“ – „wie wärs mit Schweden?“ – „nee, nicht so kalt!“ – „Thailand?“ – „nicht so weit!“ – etc. etc. Beruflich gilt dasselbe, open book bezüglich meiner Interessenslage hat mir immer geholfen. Das Gegenüber kann dann besser nachdenken, welche meiner ‚Forderungen‘ es heute bedienen kann, welche vielleicht später, oder unter bestimmten Bedingungen. Die Ziele müssen auch echt sein, in dem Sinne, dass ich sie wirklich wirklich will. Einmal hat mich eine Chefin eiskalt erwischt. Ich hatte schon etwas längere Zeit einen bestimmten Karriereschritt im Auge. Den brachte ich auch bei ihr als meiner neuen Chefin ins Gespräch. Sie fragte dann einfach „Warum?“ Ich war so sehr davon ausgegangen, dass der Schritt jetzt dran sei, dass ich tatsächlich in dem Moment keine gute Antwort hatte. ZONK. Erst als ich ihr voller Inbrunst erzählen konnte, warum ICH hier WAS genau will, und sie diese Ziele auch selbst für passig hielt, förderte sie mich. Wir konnten etwas in Gang setzen und die Reihenfolge der Teilziele aushandeln.
4. Transparent sein, und zwar ohne zu DROHEN
Wer den konfrontativen Weg meiden will („Boss, ich habe eine andere Stelle in Aussicht, jetzt gib mir mal ne Mark mehr, oder ich bin weg“) – weil er das entweder stillos findet, erpresserisch, frech, beziehungszerstörend oder einfach zu gewagt – der hat meine Sympatie. Ich mach das auch nicht. Trotzdem müssen wir unkonfrontativen Menschen nicht darauf verzichten, dem Umfeld unseren Marktwert mitzuteilen. Es ist viel eleganter, dies nicht mitten in der Gehaltsverhandlung zu tun. Ich habe immer meine Vorgesetzten einfach transparent auf dem Laufenden gehalten, was ich für Wechselgedanken hatte, welche Angebote ich erhielt etc. Somit signalisiere ich ihnen, was ich anstrebe und ich kann sie als Coaches nutzen, wenn sie es denn zulassen. So habe ich denn auch mehr als einmal spannendes Feebdack bekommen, z.B. „Ja, da solltest Du zuschlagen, traust Du dich denn?“ oder „Spannende Stelle, und Du glaubst tatsächlich, dass Du das könntest? Sehe ich nicht so“. Somit konnten wir miteinander langfristig an meiner Entwicklung feilen. Das ist doch viel besser, als jährliches Fingerhakeln um ein paar Euros in einem gür beide Seiten unangenehmen Gespräch. Wir konnten unsere jeweilige „Verhandlungsmacht“ und Interessenlage friedlich, ohne Stress ausloten.
5. Chancen erkennen, und zwar auch im NEIN
Wenn mir jemand eine Forderung, einen Wunsch, ein formuliertes Ziel ablehnt oder Hindernisse in den Weg stellt, kann ich beleidigt abziehen. Oder ich kann diese Erfahrungen wertschätzen. „Aha, Du siehst mich also noch nicht auf der und der Stelle – dann sag mir doch bitte, was dazu fehlt und ich kann konkret eine Schippe drauflegen“. „Soso, Du möchtest mich nicht in dem Projekt unterstützen – was würde Deinen Unterstützungswillen denn wecken?“ Die Antworten auf solche Fragen sind Gold wert für jegliche Entwicklung in Deinem weiteren Leben – während Beleidigtsein Null Komma Nix Wert ist. Manchmal musste ich auch nur an der Fähigkeit arbeiten, eine Kompetenz oder ein Potential nach außen zu zeigen. An anderer Stelle musste ich tatsächlich eine nötige Kompetenz erstmal aufbauen. Auf jeden Fall konnte ich mein Kritiker zu meinem Helfer machen – ob er das nun selbst wollte oder nicht.
6. Ausdauer, Ausdauer, Ausdauer und AUSDAUER
Ohne jegliche Statistik dafür zu haben, behaupte ich, dass 50% oder mehr aller Ziele, Wünsche, Forderungen deshalb nicht erreicht werden, weil man schlicht aufhört, sie zu verfolgen. Das klingt jetzt wie eine Binsenweisheit, weil es ja wiederum gute Gründe zu geben scheint, aufzugeben. Erschöpfung, Zwist, Hoffnungslosigkeit, schroffe Ablehnung etc. etc. Aber oft genug würde es schon reichen, sich ein Beispiel an meinen Kindern (oder euren, das haben die alle gleich gut drauf) zu nehmen. Die Fragen einfach nochmal. Und nochmal. Und noch 50 mal. Eine enorm effektive Verhandlungsmethode! Ja klar, irgendwann nervt man auch enorm. Allerdings kann man ruhig eine gewisse Zeit nach einer Ablehnung erneut antreten. Und noch ein drittes Mal. Wenn man es ernst meint, why not? Vor allem, wenn man sich um einen Karriereschritt bemüht, mutet es doch seltsam an, wenn man keine Ausdauer im Verfolgen von Zielen zeigt, oder? Aufgeben ist der sicherste Weg, zu verlieren.
Alle diese Beispiele haben drei Sachen gemeinsam:
- bleib dran und mach das beste draus, was immer das ist, ggf. auch mal Ziele anpassen
- suche Du die Momente aus, in denen Du mutig bist / dich selbst vermarktest
- denke mittel/langfristiger anstatt beim nächsten Showdown den mega Sieg durchsetzen zu wollen
Und als Abschluss für alle sanften Gemüter, die sich über ihre vermeintliche Schwäche ärgern und insgeheim die Hau-Draufe dieser Welt beneiden, vielleicht selbst gern ein großer Krieger wären: „Ein großer Krieger? Groß machen Kriege niemanden!“ – Master Yoda
Wie seht ihr das? Ich freue mich über Eure Meinung und gern auch eigene Erfolgsstrategien für Sanftmütige.
Jetzt erstmal viel Erfolg, aber vor allem viel Leidenschaft und Spaß in 2022!