Ein Effekt von Corona und mobiler Arbeit, über den ich noch nichts gelesen habe, den ich aber im Netzwerk beobachten kann: Festangestellt ist zunehmend nicht mehr fest angestellt. Was meine ich damit? Zunächst ein paar Beobachtungen:
1. Ungebundenheit: die Verbundenheit zum Arbeitgeber sinkt tendenziell, wenn man sich über Monate kaum noch sieht. Das muss nicht heißen, dass man unzufrieden wäre. Außer der fehlenden Kontrollmöglichkeit (die auch in Präsenz kaum gegeben ist – ich habe schon erlebt, dass Dienstleister währen ihrer Arbeit beim Kundenprojekt heimlich ihre Ferienhausvermietung managten), gibt es auch den Effekt „aus den Augen aus dem Sinn“. Bei aller Isolation im Lockdown – man ist mehr bei sich selbst. Und denkt mit der Zeit auch mehr an sich selbst.
2. Unternehmertum: Tendenziell steigt das Unternehmertum im Mitarbeiterbereich. Die Firmen rufen ja auch dazu auf: Intrepreneur sollst du sein. Ausgründen sollst du. Ownership übernehmen. Tja, und was macht eine Unternehmerin? Sie bringt ihre Schäfchen ins Trockene.
3. Freiheit: Viele haben inzwischen mehr Zeit. Sicherlich, viele sind getaktet ohne Gnade. Aber manche sind auch viel freier in der Organisation, wie sie ihre Zeit verbringen. Wer sich gut organisiert, schaufelt sich auch schneller mal einen Nachmittag frei. Es kommt dann keiner ins Büro gelatscht und verbraucht die freie Zeit, man hat die freie Zeit wirklich frei! Und wir haben mehr Zeit, weil unheimlich viel Quatsch weggefallen ist. Erinnert Ihr euch noch an die Zeiten, als man PPTs gemalt hat, wie das Projekt wohl steht?
4. Netzwerke: Ansätze wie Open Innovation, zunehmendes Duzen, geringere Machtdistanz, neue Medien, informeller Austausch über Firmengrenzen hinweg, sowie abnehmende Konkurrenzdenke senken die Hemmschwelle, mit Fachleuten aus anderen Firmen zu connecten. Die Welt wird insgesamt vernetzter. Auch aus Notsituationen heraus. Siehe shiftcollective.de, siehe wirgegenvirus.org, siehe die vielen neuen Industriepartnerschaften. Nie konnte sich eine Expertin so gut global vernetzen wie heute.
5. Geld: es gibt bereits so einige, die für mehrere Firmen arbeiten müssen. Ich glaube der Trend wird sich verstärken.
6. Gold: es herrscht Goldgräberstimmung. Wer relevantes Wissen mitbringt, ist heutzutage dermaßen gefragt, dass er Schwierigkeiten hat, eine Firma auszuwählen. Kombiniere Wissen mit Mut und Kreativität, dann bekommst du Topleute, die in einer Position, bei einer Firma oft extrem unterlastet sind.
7. 40h: Wenn der Gesetzgeber erwachsene Menschen zwingt, täglich nicht mehr als 8-10h zu arbeiten, dann machen sich manche eben in ihrer Freizeit auf zu neuen Betätigungen. 50 oder 60 Stunden pro Woche sind absolut verkraftbar für die meisten Menschen, vor allem wenn sie keine Lust auf Fußball gucken, Bier trinken oder Briefmarken sammeln haben. Nebenjobs können halt sehr erfüllende Hobbies sein.
Was meine ich nun mit Festangestellt ist nicht mehr fest angestellt?
Zählen wir diese Beobachtungen zusammen: Wer weniger Gebundenheit verspürt und ein wenig Zeit übrig hat und über dringend am Markt benötigtes Wissen verfügt – und dann auch noch unternehmerisch denkt – der verkauft seine Leistung doch gleich mehrfach, meistbietend, skaliert global und saugt möglichst viel von der Wertschöpfung selber ab. Früher hieß es oft „wer richtig gut ist, der bleibt nicht lange“, der gründet also seinen eigenen Laden. Und es gab immer Menschen, die neben der Arbeit eine Nebentätigkeit hatten, aber oft eher „hobbymässig“. Doch…
… ich behaupte, ca. 25% der WissensarbeiterInnen werden bis 2025 neben dem Hauptarbeitgeber weitere ernsthafte Jobs annehmen. Nicht aus Not oder als Hobby, sondern weil sie es wollen.
Sie werden beraten, gründen, dienstleisten, Purpose verwirklichen, whatever. Ich glaube, es werden zunehmend Menschen ihren Hauptvertrag behalten – und trotzdem auf mehreren Hochzeiten tanzen. Zu verlockend wird ihr Drang nach Unternehmertum und die Nachfrage am Markt nach ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten sein.
Ein guter Freund, Senior Programmierer von Beruf, sagte es heute so: „Ich hab halt Bock neben dem Job auch andere Kunden zu haben“.
Ein anderer formulierte es so: „jeder Tag, den ich mir vom Hauptjob freinehmen kann, bringt mir im Nebenjob das Doppelte, ich will es nur nicht übertreiben“.
Nächstes Beispiel, eine Führungskraft sagte mir am Rande einer Fortbildung letztes Jahr „Viele von uns sind nebenbei Coaches. Und dabei ist es ein großer Vorteil, dass wir nicht nur coachen, sondern einen ‚echten‘ Hauptjob haben“.
Man soll ja immer drei Dinge aufzählen, daher zähle ich jetzt aus Trotz vier auf. Letztes Beispiel: eine Freundin hat einen Führungsposten bei einem Mittelständler. Sie baut seit längerem eine zweite Säule in der Nebentätigkeit auf, um Ihren Ausstieg vorzubereiten. Die letzten 10 Jahre vor der Rente möchte sie ihre eigene Herrin sein. Da es aber nicht sicher ist, ob es klappt mit der Selbstständigkeit, bleibt sie lieber erstmal weiter festangestellt.
Alle Beteiligten müssen sich hier Gedanken machen. Firmen, Führung, Betriebsrat, Personal, Recruiting, Kollegen, Gesetzgeber, … und nicht gleich dicht machen – Nebenjobs bereichern schließlich auch. Immateriell gemeint.