Stell Dir vor, Du machst Change – und keiner geht hin

Warum Du leider zusätzlich zu Key Note Speakern, Change PMO und klugen Beratern auch noch einen Zauberstab brauchst, um wirklich was zu verändern. In diesem Beitrag fahre ich alles auf: Goldsucher am Yukon, Magie, Biologie und Bakterien – wenn das keine Wochenendlektüre ist!

„Das wird kein Spaziergang“, sagte der CEO. „Was möchtest du denn stattdessen?“ fragte der Zauberer.

Es ist doch spannend, dass es bezüglich Change, Innovation, Agilität und Unternehmenskultur so viele kluge Rufer in der Wüste gibt, und das alles spannend, plausibel, inspirierend klingt – aber die Massen ihren Hintern kaum hoch bekommen. ChefInnen und ihre Changebeauftragten haben enorm zu tun: Führung neu denken, Geschäftsmodelle auf links drehen, Kompetenzen aufbauen, Ressourcen umschichten, Infrastrukturen umbauen… Und auch der politische Sektor hat Changebaustellen noch und nöcher: Klimawandel, Ressourcen, Welthandel, Bildung, Digitalisierung („jetztaberwirklich 2.0“)… Und für jedes Handlungsfeld gibt es Heerscharen an klugen Köpfen mit spannenden Visionen und guten Veränderungskonzepten. Doch alle klagen: Warum ist Change so eine quälend zähflüssige Soße?

Darum!

Ein Beispiel: Stellt Euch das fiktive Dörfchen Ist-Stand vor, am Flüsschen Immerso. Dort schürfen seit jeher alle Einwohner nach Gold. Weil sie da nun mal wohnen, und weil man es hier halt so macht. Sie finden aber fast nichts. Noch nie. Vielleicht der alte Gustav vor 80 Jahren, ja, der hat mal ein mega Nugget gefunden. Darauf fußt der Wohlstand des ganzen Dorfes bis heute, und es begründete die Tradition, nach Gold zu suchen. Und dann kommst Du als Veränderer und rufst: „Warum sucht Ihr hier? Ihr müsst an den Yukon, Leute! Schaut, hier, die Nuggets! Warum hört ihr nicht? Seid ihr doof?“ Wenn sie dann trotz Deiner Beweise weiter am Immerso schürfen wollen, dann sind sie tatsächlich doof. Dann darf man sagen: die wollen halt keinen Change. Sollen sie doch weiter darben in Iststand an der Immerso. Und so simpel beschreiben viele die Notwendigkeit der Transformation: „Das Alte ist Mist, alle auf, in die Zukunft!“

Aber was wenn das Szenario ein anderes ist?

Wenn sie an der Immerso halbwegs auskömmlich Gold finden? Und wenn Du gar keine Nuggets zum Zeigen auf Tasche hast? Wenn ich nur eine halbwegs gut begründete Theorie habe, dass der Yukon goldhaltig sein MÜSSTE? Oder wenn ich nur Erzählungen habe von Goldsuchern, die dort angeblich reich wurden? Dann sind die Einwohner nicht wirklich doof in Iststand. Sie sind viel eher: träge, ängstlich oder skeptisch. Oder sie profitieren von der bisherigen Situation und würden nur verlieren, sobald alle an den Yukon ziehen. Zum Beispiel, weil sie in Iststand nebenbei Grundstücke verpachten an naive Goldsuchertouristen. Dann ist Change nicht gerade der heiße Scheiß. Dann ist Change schwierig.

Und dann kommen die Changeberater. In unserem Gedankenspiel sollen sie Experten für Dorfverschönerung sein. Sie haben keine konkreten Flugtickets an den Yukon.  Sie haben auch keine echten Nuggets zum Vorzeigen. Nein, sie haben schöne Kataloge von Dörfern, die es angeblich geschafft haben: So sollte Ihr Dorf aussehen, Herr Bürgermeister. Ich helfe Ihnen mit meinem XYZ-Ansatz, ihre Vision umzusetzen, das Dörfchen Iststand zum Aufblühen zu bringen. Es wird wie am Yukon sein, versprochen! Und alle Bürger müssen mitmachen. Dafür habe ich einen Experten für Changekommunikation mitgebracht. Der kann durch fleißiges Schreiben alle ins Boot holen. Die Leute müssen informiert werden, das baut Veränderungsunwillen ab. Denn, unter uns, Herr Bürgermeister, die sind alle doof und müssen den Change nur verstehen!

Ja, aber wenn sie nun nicht doof sind? Wenn Information und Einbindung nun aber nicht hilft? Wenn sie viel mehr skeptisch sind oder ängstlich oder träge? Dann muss ich als Changebeauftragter doch Mittel finden, die nicht gegen Doofheit wirken. Sondern gegen die anderen Hemmnisse. Was hilft denn gegen Trägheit? Gegen Angst? Gegen Skepsis? Sicher nicht die gleiche gute alte Top Down Changekommunikation. Und was hilft im Falle der glücklichen Verpächter und ihrem Problem? Hilft da überhaupt was?

Und nun?

Aus meinem Biologiestudium blieben mir Debatten gut in Erinnerung, dass die biologische Evolution manchmal magisch / unmöglich erscheint. Da gibt es zum Beispiel Einzeller ohne Schwänzchen. Und plötzlich haben sie Schwänzchen. Nicht erstmal mutierte kleine Stummel – als Vorstufe sozusagen. Sondern gleich komplizierte Antriebsapparate. Kleine Motoren mit ganz neuen Features, die ihre altmodischen Vettern nicht hatten. Evolution halt? Aber seltsam, es existieren keine Zwischenschritte. Keine ersten Schwanzansätze, nicht mal unnütze Knubbelchen. Es gibt nur Einzeller ohne Paddel – und ihre ruderschwanztragenden Hightech-Cousins. Der Wandel geschieht offenbar nicht immer allmählich, sondern durch „magische“ Sprünge. Ebenso gibt es keine Fossilien von Vögeln mit „halben Flügeln“ oder so. Entweder die Veränderung ist aufgetreten oder nicht. Bumms. Aber ich packe die wahrscheinlich schiefen Biologismen mal beiseite. In Veränderungen in großen Gruppen ist jedenfalls auch so ein quasi magisches Phänomen zu finden.

Outside your comfort zone – this is where the magic happens

Genauso wie den Einzellern geht es vielen Menschen: das „Jetzt“ ist ok, der Zielzustand könnte auch ok sein – aber der lange Weg des Wandels dazwischen sieht aus wie ein „Highway to Hell“ gesäumt mit den Gerippen der verreckten Mutanten, die irgendwas ausprobiert haben (siehe Lebensdauer von Startups). Es drohen Strapazen, Chaos, Unsicherheit und Verluste. Warum sollten träge, ängstliche oder skeptische Menschen sich da auf den Weg machen?

Die Trägen werden verharren, bis die Ist-Situation unbequemer wird als die Veränderung. Die Ängstlichen, werden den Kopf einziehen und erst dann kopflos reagieren, wenn sie in die Ecke gedrängt sind. Die Skeptischen werden tendenziell nach Argumenten suchen, warum das Neue im Vergleich zum Status Quo Quatsch ist. Und dies so lange, bis der Quatsch der neue Status Quo ist, um dann diesen zu verteidigen.

Veränderung entsteht nur durch Verändern!

Ich bin überzeugt, wenn sich wirklich etwas ändern muss, reicht es meist nicht aus, eine inspirierende Vision zu vertreten und intensiv zu kommunizieren. (Das reicht nur dann aus, wenn man Menschen auf eine neue Richtung, neue Ziele einschwören will, ohne die Menschen selbst zu verändern). Es reicht aber nicht aus, wenn man die Menschen, deren Mindset, das Miteinander, die Kultur verändern will. Die Einsicht, dass man sich selbst wirklich verändern muss, kommt nur durch eine neue Realität. Durch neue Wahrheiten, die jeder sieht und hört. Neue Wahrheiten, die keiner mehr leugnen oder ignorieren kann, die uns alle dazu zwingen, uns mit der neuen Wahrheit konkret, live und in Farbe auseinander zu setzen.

Neue Realitäten

Um Realitäten zu verändern, braucht es „magische Sprünge“. Es braucht Magier, die diese Sprünge herzaubern, von denen alle dachten, sie seien nicht möglich. „Nicht bei uns“. „In unserem Unternehmen? Niemals!“. Diesen Magiern ist das Gelächter der Zweifler keine Hürde, sondern Antrieb. Sie ändern die Spielregeln, sie entfernen Bremser, sie gehen nie gewagte Risiken ein, sie verblüffen ihr Umfeld, denken „out of the box“. Game Changer sagt man. Ich sage „Reality Changer“ – es ist ja kein Spiel.

Grundsteinlegung der neuen Realität

Die Magier reißen also alles um, was Mist ist. Und lassen frische Luft rein. Ach da war ein Fenster, das keiner gerne öffnet? Wusste ich gar nicht. Sie ignorieren die ungeschriebenen Gesetze und postulieren neue, ohne sich beirren zu lassen. Sie sind auch nicht immer völlig transparent, oder achtsam oder partizipativ (was zurecht eigentlich wertvolle Eigenschaften sind). Sondern sie tun was. Und dann passen sich die anderen an. Nicht andersherum.

Und das ist Magie: die Wirklichkeit verändern.

In unserem Beispiel würde der Bürgermeister des Dörfchens Immerso einfach mal an den Yukon fliegen und mit Gold-Nuggets zurückkommen. Oder er würde ein paar Tickets an den Yukon verlosen „Geht doch mal nachsehen da“. Oder er würde fragen: „Sind wir zufrieden – auch ohne viel Gold? Wollen wir vielleicht lieber in Armut glücklich sein?“ Oder er würde die Berater nur beauftragen, wenn sie rein erfolgsbasiert bezahlt werden. Oder er würde den Fluss trockenlegen und einmal mit dem Metalldetektor drübergehen, um allen zu zeigen: „Leute hier ist kein Gold!“ Irgendwie sowas. Jedenfalls würde er nicht alle im Dorf für doof erklären und sie mit Hochglanz-Prospekten „Deswegen müsst ihr Euch verändern“ überschwemmen.

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