„Meine Antwort ist ganz klar… eine andere als noch vor ein paar Minuten“
Auf dem hier habe ich lange herum gekaut. Dass der Kontext unsere Entscheidungen beeinflusst, erschien mir zu banal, um darüber zu schreiben. Doch irgendwas reizte mich. Letztlich machte es Klick, als ich mit einer anderen Führungskraft darüber sprach, dass wir alle an der Welt mit gestalten, in der wir leben. Nicht nur im Sinne der Umwelt, oder das wir die physische Welt gestalten, die wir unseren Nachkommen vererben. Sondern vor allem im Dinne der Atmosphäre, die man schafft. Im Sinne der Storyline eines Arbeitstages: Arbeite ich eigentlich irgendwelche Todos ab, oder hat mein Wirken einen Kontext? Bestimme ich diesen Kontext eigentlich mit? Und gefällt der mir? Bewerte ich andere Menschen vielleicht ungerecht, weil ich mich vom Kontext zu sehr lenken lasse? Somit wird das Thema „in welchem Kontext verbringe ich meinen Tag? Macht Kontext mich ungerecht? Welchen Kontext erzeuge ich selbst?“ zu einer ganz essentiellen Angelegenheit. Faszinierend!
Willst Du frei und selbstbestimmt führen oder entscheiden, dann solltest Du ganz große Antennen dafür entwickeln, inwiefern Dich der Kontext in dem Du dich befindest, beeinflusst. Sehr deutlich wird der Kontext Effekt zum Beispiel bei Interviews, wenn eine Antwort dadurch beeinflusst wird, wie die vorhergehende Frage war. Ich gehe im Folgenden auf Fälle ein, die für Führungskräfte und für Berster, Moderatoren, Trainer relevant sind. Dabei verlasse ich die engere Definition des Kontext Effekts.
Ein konkretes Beispiel für den Kontext Effekt ist, dass Du folgendes Wort sicherlich kennen wirst:
„Die Millionärin besaß 4 Sportw4gen“
Nun steht da kein Wort für das, was sie besitzt, sondern im Prinzip Buchstabenschrott. Trotzdem hat der Kontext Dir gesagt, dass sie vier Lambos, R8, oder andere schöne schnelle Autos besitzt. Die 4 in Sportwagen akzeptiert Dein Gehirn als „a“, gleichzeitig bleibt nimmt es achselzuckend aber auch dieselbe 4 als Zahl hin.
Ein weiteres berühmtes Beispiel ist der Versuch, in dem Gemälde mal im Labor und mal in einer Galerie präsentiert wurden. Die Bewertungen fielen besser aus, wenn die Gemälde in einer Galerie hingen. Dieser Effekt war sogar stärker als der Unterschied zwischen Original und Kopie, was auch getestet wurde.
Ein starker Kontexteffekt ist, wenn einer nach der anderen das Meeting absagt, weil die Oberchefin kurzfristig doch nicht dabei ist. Das deutet auf Machtdistanz hin, und darauf, dass Inhalte weitaus weniger wichtig sind als Facetime. Das vorher noch brandheiße Meeting wird sofort als unwichtig empfunden, nur durch den neuen Kontext.
Im Berufsalltsg heißt das, dass Dir garantiert eine Reihe von Entscheidungen unterlaufen die vom Kontext verzerrt werden. Derselbe Mitarbeiter fällt dir positiver oder negativer auf, je nachdem in welchem Büro, zu welcher Zeit, in welcher Gesellschaft oder in welchen Klamotten er dir begegnet. Menschen die Du immer abends siehst, wirst Du vielleicht anders bewerten, als solche, die Du nur morgens siehst. Weiter geht es mit Menschen die Du live siehst vs. Leuten, die du nur vom Telefon her kennst.
Im Führungsalltag findet Kontext aber vor allem erstmal im Mikrobereich statt. Spreche ich die Chefin heute auf die Entscheidung an, oder lieber morgen? Ist der Kollege morgens oder abends besser drauf? Ist es angebracht, zu fragen, wenn 20 andere im Chat sind? Wenn Du eine Führungskraft bist, die selbst ständig starken Kontext erzeugt (heute bin ich sehr gestresst, heute euphorisch, heute mega kritisch, …) dann darfst du dich nicht wundern, wenn Leute dies mit der Zeit mitbekommen. Sie nähern sich Dir dann vorsichtig, checken ab, wie Du heute drauf bist und nutzen Deinen eigenen Kontext für sich aus.
- An euphorischen Tagen leiern sie Dir unvernünftige Dinge aus dem Kreuz.
- An wütenden Tagen zerren sie Opfer vor Dein Schafott.
- An nachdenklichen Tagen schlagen sie Dir vor, Dinge lieber sein zu lassen (auf die sich keine Lust haben).
Weitere Businessbeispiele sind Ja-Straßen im Verksufsgespräch. Dort wird der Kontext aufgebaut, dass Dein Gegenüber glaubwürdig und im Recht sei, da Du ja die ganze Zeit mit „ja“ antwortest. Oder die Wahl des Ortes, z.B. für heikle Gespräche ist ein Beispiel, oder die Einkleidung von Change Kampagnen in werbemäßige Kontexte – da gibt es dann Change Kommunikation mit Hochglanzbildern nach dem Motto: „willst du jung, schön und glücklich sein, dann steig mit ein“
Tipp 05: Willst Du Deine wichtigsten Entscheidungen möglichst unabhängig von Kontext machen, dann
- solltest Du Entscheidungen zwei oder dreimal durchdenken und dafür jedes Mal den Ort / die Umgebung wechseln
- Du solltest auch mehrere Berater haben, nicht nur einige wenige Vertraute. Denn auch entstandene Beziehungen sind Kontext.
- Du solltest Menschen, die versuchen, Kontext aufzubauen, offen spiegeln „Moment bitte, Deine Ausführungen gehen jetzt viel zu sehr ins Drumherum. Ich verstehe, dass es Dir nicht gut geht gerade, und wir nehmen uns dafür nachher noch gebührend Zeit. Aber jetzt brauche ich gerade ausschließlich die Zahlen, Daten und Fakten.“
- Bitte bewerte Mitarbeiter:Innen nicht, wenn Du sie nur aus wenigen Blickwinkeln kennst. Schaffe Gelegenheiten, jeden in möglichst unterschiedlichen Kontexten zu erleben
- Gehe in Dich, in wieweit Du bei Mitarbeitern den Kontext mit bewertest im Gegensatz zur tatsächlichen Leistung. Kennst Du die reale Leistung tatsächlich?
- Tausche lieber mal Aufgaben im Team, um zu sehen, wer wie gut an welches Problem rangeht, anstatt schlimmstenfalls Äpfel mit Birnen zu vergleichen
Zuguterletzt stand dort nunmal nicht Sportwagen, sondern Sportw4gen. In Deinem Führungsalltag wird es Unmengen an Situationen geben, in denen der Kontext die eine 4 für ein a vormacht.